Michael Siebert Michael Siebert

Herbst 1978, Teil 2 - Das Geburtstagsfest

Weil die alte Zapfanlage ja noch nicht wieder in Betrieb ist, lagern die Fässer auf dem Schank, mit dem Schlegel griffbereit zum Anzapfen daneben. Das Bier läuft, bloß der Schlegel ist gefährlich, denn der Molli schlägt im Vorbeigehen jede freilaufende Zigarettenschachtel zum Wrack: Sorgsames Hochkantstellen der Hardbox, ein Schlag und die Sache ist geklärt. Welche Sache genau, bleibt ein Geheimnis, aber so oder so, es nervt ordentlich. Die Opfer schreien nach Vergeltung, auf Schlag folgt Gegenschlag, bis zuletzt alle mitmachen, obwohl’s keiner lustig findet. Dem Molli ist es egal. Seine Mais kommen in Softpacks, und die behält er in den Jeans.
Neue Gesichter tauchen auf, jeder hat jemanden eingeladen. “Kennt die wer?” wird gefragt, aber die Antwort interessiert nicht.
“Jetz’ is’ doch guad g’laufn.” Christoph wird langsam klar, was sie geschafft haben. „Dee Mauer is weg.“ Dee, mit Betonung auf dem e. Als hätten sie noch viele solcher Wahnsinnsprojekte vor sich.
Während sie reden, schaut der Molli hinüber in den freigekämpften Gastraum, wo einer mit einer Kehrschaufel ein paar größere Steine wegschiebt. Sofort ist der Steinbruch zurück, als wäre doch noch etwas gesprengt worden - Gespenster in ihrer Zwischenwelt.
“Spinnst du?” ruft’s von hinten, “willst uns ersticken?”
“Is glei vorbei”, kommt zur Antwort, oder, “is do eh scho wurscht …”

Auf dem Plattenspieler laufen Animals. Blow it up, start all over again.
Des war mal wieder a Fahrt, erzählt einer, so in sechsunddreißig Stunden übern Put - zwischendrin hamma an Keilriemen gwechselt - der Kühler hat gedampft wie a Lanz Lokomobil - da bist fei froh, wenn’s nach den Bergen zum Meer runtergeht, da rollt die Kiste notfalls selber - … und dann kommt a alte Frau und fragt, ob ma übernachten wolln - die räumen da echt ihr Wohnzimmer - Gott sei Dank, dass der Ersatzriemen dabei war …
Staub, Qualm und Musik treiben aus der Kneipe hinaus über die Siedlung; ein weißer Schleier über Häusern, Bäumen, Feldern, Wiesen, Tieren, Menschen.
“Und da“ - Christoph macht eine umfassende Handbewegung - „mach ma den Tresen.”

Da ist sie also, die basisdemokratische lange Theke, wo sich jeder dazustellen kann. Wo jeder mit jedem redet, und ein gepflegtes Bier ausgeschenkt wird. So, wie sie in diesem Moment in den Köpfen ist, wird sie in den Wochen danach gebaut: Vom Eingang der neuen Musikbühne bis ganz nach hinten in den letzten Winkel des freigelegten Raums.

Bestimmt ist es schon kurz vor der Morgendämmerung, als sich ein paar Fremde verabschieden wollen, zwei Festere, dazu einer mit Hut und ein Langhaariger.
“Du, mia mechatn zahln.”
Christoph wird sie überrascht angesehen haben.
“Wieso?”
Die Typen bemerken seinen Blick nicht, sie müssen sich erst sortieren - sie haben’s ganz schön krachen lassen. Wie es aussieht, sind sie, von ihrem Anteil an den leeren Fässern einmal abgesehen, auch für eine Flasche Whisky und eine zweistellige Zahl von Rüscherln verantwortlich. Ein Wunder, dass die noch stehen können, denkt er, diese Jungs sind sprachbegabtes Dachs Weiße.
„Du, Martin, san des Kollegen von dir aus’m Amt?”
Martin unterbricht einen weltanschaulichen Vortrag. „Vo mir san de ned.“

So weit sie sich an ihre Zeche erinnern können, haben die Fremden alles auf ein Bierfilzl notiert und wollen zur Auflösung beitragen.
„Naa, mia ghörn gar ned dazua … mia san Uffinga.”
“Uffinga?”
“Genau“, sagt der mit dem Hut. „Mia san einfach so vorbeikemma.“
„Ja, scho“, brummt der Christoph, „aber so lauft des bei uns ned …“
Die Uffinger wollen keinen Ärger machen, sie sind schon fast wieder nüchtern. „Sagt’s halt, was ma schuldig san!“
Einer der Festeren hält das Bierfilzl hoch wie eine Hostie, doch dem künftigen Kneipenwirt ist das hier alles zu anstrengend. Da draußen geht immerhin gleich die Sonne auf.
„Was will i mit dem Ding?“
Der Andere beginnt zu verstehen. „Nacha zahl ma ned?“
„Bei mir ned.“
Nun wissen sie nicht mehr, wohin mit ihrem Bierfilzl. Einer nimmt es und legt es vorsichtshalber auf die Theke. „Nacha geh ma jetz?“
„Woaß i ned. I jedenfalls scho, und zwar ins Bett.“
„Dann sagn ma dankschön …“
„Passd scho. Vorsichtig hoamgeh!“

Martin ist an die Theke gekommen. Er zündet sich eine Zigarette an und will ein letztes Bier zapfen, aber die Fässer sind praktisch leer. Gerade noch ein Viertel läuft heraus, als sie es anheben, dann ist Ebbe.
“I hab gmeint, des san Kollegen von dir aus’m Amt”, wiederholt Christoph.
“Naa. Aus’m Amt war’n die ned. Da wär in dem Fass bestimmt nix mehr drin”, erklärt der Beamte in spe.

Draußen ist es jetzt richtig hell. Karli zündet sich eine Zigarette an und lässt die Schachtel auf der Theke liegen. Der Molli greift sich den Schlegel und erledigt sie mit einem geübten Schlag.
„Du bist a so a Depp! Der Automat hintn is leer - kannst glei amal losfahrn und einkaufn.“ schimpft Karli.

“Bringst fei Brezn mit!” ruft eines der Gespenster von hinten.

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Kumari Kumari

Herbst 1978, Teil 1 - Die Mauer

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Die Mauer war leicht dreißig Zentimeter dick und trennte den heutigen Gastraum mit der Bühne von einem engen Thekenbereich. Das war auch in den Siebzigern nicht attraktiv.

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Die Mauer war leicht dreißig Zentimeter dick und trennte den heutigen Gastraum mit der Bühne von einem engen Thekenbereich. Das war auch in den Siebzigern nicht attraktiv.
Vielleicht ein Dutzend Leute wohnten zu dieser Zeit in den Gästezimmern der ehemaligen Wirtschaft ‚Bärenklause‘ in der Huglfinger Kieswerksiedlung. Sie versammelten sich jeden Abend spontan am alten Ausschank und arbeiteten kreativ akribische Zukunftspläne aus. Die meisten von ihnen kannten sich aus der Katholischen Jugend, wo sie damals eine “Nonkonformistische Gruppe” ins Leben gerufen hatten. Das war im Bistum nicht gut angekommen. Um herauszufinden, ob es sich um Ketzer, Häretiker oder Renegaten handelte, wurden die Grünschnäbel nach Augsburg einbestellt und der Diözesanjugendleiter erklärte ihnen bei Saft und Plätzchen die Spielregeln: Wollten sie weiterhin an den Segnungen der Kirche und der finanziellen Ausstattung ihrer Jugendarbeit teilhaben? Dann schwören wir jetzt mal bitte dem verwerflichen Namen und seinem damit verbundenen Gedankengut ab - umgehend.
“Ihr wollt doch den lieben Gott nicht beleidigen!”
Mooment. Mit Betonung auf dem ‚o‘. Eine halbe Kippe, Sekundenbriefing der Sektierer unter Ausschluss der Geistlichkeit. Im Resultat: Niemand beleidigt hier irgendwen, und genauso wenig schwört irgendwer irgendwas, und schon gar nicht ab.
“Es fällt kein Spatz vom Himmel, wenn der gute Vater es nicht will”, entgegneten sie dem Kirchenvertreter und verabschiedeten sich in aller Form.
„Wie bist denn jetzt auf deen Spruch kommen?“ hat einer gefragt, als sie wieder draußen waren.
„So halt“, war die Antwort. Und damit war die “Nonkonformistische Gruppe der katholischen Jugend Weilheim” final gegründet.

Ungefähr fünf Jahre später standen sie also im Keller der Waldstraße Nummer 4 und überlegten, wie aus dem alten Dorfwirtshaus eine ordentliche Kneipe werden könnte.

Man darf sich das ungefähr so vorstellen ...

2

Ortsbegehung durch die Start-Ups Christoph, Moni, Benno und Molli, wie der Bäda damals nach dem russischen Erfinder Molotow genannt wurde. Also dem mit dem Cocktail. Tatkräftige Unterstützung erfahren sie durch eine beliebige Anzahl WG-Bewohner sowie durch Edi, den Boxerhund von gegenüber. Edi hat eigentlich strenges Verbot, sich mit den langhaarigen Trollen, die neuerdings die Bärenklause bevölkern, einzulassen, und demzufolge ist er eigentlich gar nicht da.

Die Räume der alten Gaststätte leiden unter Kontrollzwang. Ein freudloses Kabuff grenzt an einen besseren Flur mit Ausschank, alles ist muffig und atmet den Geist der Fünfziger.

Wie sie im Thekenbereich zusammenstehen, spricht einer es aus: “De Mauer muaß weg!”
Ein altersschwacher Barhocker steht herum; Christoph prüft ihn sorgfältig, bevor er sich setzt.
“De bring ma ned raus”, wird er gesagt haben. “Des is a Tragende.”
Spätestens jetzt zündet sich der Molli eine Gauloises an, die er für den Rest der Unterhaltung im Mundwinkel behält.
“So wie die beinander is ... da müsst’ ma schon sprengen ...” Ein Moment der Stille.
Bevor’s zu nonkonformistisch wird, mischt sich der Ferdl ein.
“Da ghört ein Peiner eingezogen”, sagt er. “Dann können wir unterhalb das Material rausbrechen.” Ferdl ist Statiker.
“Mit’m Duss? Diese Mauer?”
“Naja, schon was Größers.“
Ein Schritt zurück, soweit das halt geht. Eine fachmännische Abschätzung.
„An Presslufthammer. Den leih ma. Es is einfach Tiefbau, da hilft nix. Ich rechne euch die Traglast aus. Den Peiner bstelln wir über den Caruso und der Hipper liefert.”

Die Sache wird vorstellbar.

Letztlich ist es der einzige Weg. Sie ordern den Stahlträger, und wenige Tage darauf setzt draußen im Hof ein Kompressor ein, der erst nach einer guten Woche wieder zur Ruhe kommen soll.
Gearbeitet wird in Schichten. Zentimeter für Zentimeter schälen sie das betonverfüllte Mauerwerk herunter, das Bärenklaus’sche Nebenzimmer mutiert zum Kieswerk, produktiver als der Saffer beim Kargsbichl - dort machen die nicht so viel Staub. Unter Beton in jeder Körnung verschwindet der Riemenboden, und wer die Luft schneiden wollte, bräuchte eine Flex. Es ist, als würden auch sie selbst im Nebel verschwinden. Wenn ihnen die Nachbarn auf der Straße begegnen, schauen sie aus dem Auto heraus durch sie hindurch, und selbst der Edi geht zwar nicht heim - man soll nicht übertreiben - aber er verzieht sich doch auf die Couch im ersten Stock. Erst spätabends steht er wieder auf, graue, nonkonformistische Spuren hinterlassend, wie ein Geist, ein Gespenst, das sich gerade noch retten konnte, bevor der Tag es erwischt.
Wenn’s zwischendrin reicht - also in sehr regelmäßigen Abständen - fährt einer los und holt frisches Dachs. Dann sitzen sie auf dem Leergut in ihrem persönlichen Steinbruch, tanken auf, machen Pause.

Der Kare, ein kräftiger Mensch, war dran mit dem Hammer. Er hat sich tapfer gegen das Betonmassiv gestemmt, doch schon nach zehn Minuten muss er aussetzen. Sein Kopf glüht, er kriegt kaum Luft unter seiner Staubmaske.
“Ganz sche zach. Vielleicht sollt’ ma’s einfach wieder zuaputzn, und guad is’. Immerhin ham de vor uns a scho a Bier ausgschenkt.“
„Des schaff ma scho“, meinen alle, die grade nicht dran waren. Und Martin lobt einen Preis aus: “Wenn ma’s bis zum Wochenend einigermaßen ham, mach ma a Baustellenfest. Des is mei Geburtstag, i gib oan aus.”
“Ein feiner Zug”, sagt Christoph.
“Unbedingt”, sagt der Molli. “Nacha hol ma doch glei an Banzn, ... zwoa ...“

3

Ob es die Aussicht auf das Fest war, oder was auch immer, jedenfalls schaffen sie es zuletzt. Den Peiner tragen noch Stützen, aber sonst ist die Mauer dahin. In der verbliebenen Außenwand nurmehr ein senkrechter Riss, trockener Schorf vom Boden bis zur Decke. Der Raum ist aufgemacht, atomisiert liegen die Trümmer zu ihren Füßen, obenauf die verschlissenen Schutzmasken. Gerade als am Samstagmittag der Leonhard mit dem Bier im Käfer die Einfahrt herunter rollt, kapituliert der letzte Beton.
Durchatmen.
“Jetzt kann’s Oberland kommen”, sagt einer.

Das Oberland kommt mit dem Auto. Wadltief zwischen Schluff und Schotter wird gefeiert, der Krach ist in der Nacht kaum leiser als während der Baustelle, dafür relevanter, rein inhaltlich, gewissermaßen. Alle sind gut drauf, nur die Nachbarn, zwischen zwei Arbeitstagen, drehn sich lieber weg, suchen Zuflucht in ihren Wohnzimmern. Dem Crashkurs in Sachen zeitgenössischer Musikgeschichte entgehen sie trotzdem nicht, und der Edi, wie Phönix aus der Asche, läuft erleichtert zwischen den Leuten herum.

(Fortsetzung folgt)

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Kumari Kumari

Ansichten zur Zeitenwende

Muaß ma halt vorn amal aufhörn, wenn's hinten weh tut.

Fuck the planet.

Muaß ma halt vorn amal aufhörn, wenn's hinten weh tut.
Fuck the planet.

Manchmal, hinten im Garten, zum dritten Bier, holt der Wanja die Jonglierbälle raus, einfach so. Man muss beweglich bleiben …

Wie lang dauert eigentlich so eine Zeitenwende?
Drei Wochen? Sechs Monate? Über den Winter? Jahre?
14, 18.
Xte Zeit, xte Wende. 33.
39, 45.

Wenn es was Ordentliches sein soll, hat sie ihre Inflation dabei. Von gestern auf heut 25 Cent - was noch? Das sollten wir mal machen, da wärn sie gleich da, wegen unserer Übergewinne, die sie abschöpfen wie das Harz vom Bier.
Meine Herrn!
Da geht’s um Werte!

Wenn alles hin ist, fang ma von Null an. Bingo.

Andrerseits … Wir reden ja hier nicht vom Bier, wir reden vom Öl. Vom Fahren. Dass man wo hinkommt. Wegkommt. Oder eben nicht mehr. Naja.
Zum Beispiel, wenn der Nachbar einmarschiert und wem sein Bier drüberschüttet.
Und plötzlich merken alle, das ist ja gar nicht denen ihr Bier, sondern unsres.

Früher waren’s Anzüge, die gewendet wurden. Aber auch die selten zum Guten.

Was ein gelernter Jongleur ist, der hält die Bälle schon eine Zeit lang in der Luft.
Von Zeit zu Zeit.
Wir reden davon, dass wir zum xten Mal grad noch davonkommen wollen.

Die Inflation kann sich den Sprit noch leisten.
Am Morgen klopft es und sie steht vor der Tür.
Wir haben nur abends geöffnet, sag ich.
Ich hab Hunger, sagt die Inflation.
Soll ich dir ein Baguette machen? frag ich, auf die Schnelle?
Ich hab aber nur großes Geld, sagt die Inflation.
Willst was tauschen? biete ich an. Ich könnt zum Beispiel ein Radl brauchen.

Und was ist dann diese Zeitenwende, wenn sie gar nichts ist für die Ewigkeit?
Die Zeitenwenden sind Tidenhübe. Mit dem aufgewühlten Wasser schwimmt alles auf: Schätze aus besseren Zeiten und versenkte Leichen.
“Hau ab”, tönt das Treibgut, “hau ab, hau ab”, und kümmert sich nicht um Leiche oder Schatz.

Manchmal ist - bei den Wendezeiten wie bei den Anzügen - das Vorher die bessere Seite. Der alte Stoff war edler, die Nähte haben so einigermaßen gesessen. Da ging’s noch um mehr als nur Angezogensein. Passform, Qualität, Eleganz! … Alles ein bisschen hochwertiger, nur halt mittlerweile verschlissen. Doch irgendwann lässt sich das Wenden nicht mehr vermeiden, auch wenn der Anzug aus der Mode bleibt. Und besser wird er dadurch auch nicht. Man darf ja froh sein, wenn sich das Wenden überhaupt noch lohnt. Oft genug ist der Stoff so dünn, dass man’s gar nicht erst versuchen mag.

Jetzt muss erstmal alles flöten gehn. Der Schaum wird mehr und das Bier weniger. Entwertung, verstehst?
Mit dem letzten Schluck geht’s ums Verdursten, aber vorerst ist das bloß für die Nachbarn mit den schlechten Anzügen

Zentnerschware Weiber ghobn und jetzt ...

Rauf, runter, rauf. Wo die Bälle umdrehn, steht die Zeit still. Eine Singularität, ein schwarzes Loch. Es ist das Fass, das spinnt, wenn mehr Schaum als Bier kommt. Quasi eine umgekehrte Proportionalität. Shrinkflation, sagt der Gast und ist nicht überrascht.

Noch schenken wir hier ordentlich ein … das wär sonst wirklich mal eine Zeitenwende.
Manchmal isses aber auch nur ein Übergang zu einer besseren Zeit. So was wie ein Tal der Tränen.

Jeder kriegt die Inflation, die er verdient.

Der Willybecher surft über die Theke. Geht aufs Haus.

kh

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Kumari Kumari

Zwei Uhr Blues

„Bäda, geh weida, tua ma no oane nei!”Der Bäda, der grad die Lichter ausmachen will, ist unbegeistert. „Du, i hob praktisch scho zua …“Aber der Durstige in der Tür schaut hartnäckig aus. Lieber verhandeln.

„Bäda, geh weida, tua ma no oane nei!”

Der Bäda, der grad die Lichter ausmachen will, ist unbegeistert. „Du, i hob praktisch scho zua …“
Aber der Durstige in der Tür schaut hartnäckig aus. Lieber verhandeln.
„Okay, meinetwegn. Solang, bis i de Plattn weida hab. Auf die Schnelle.“
Wenn’s der Bäda ernst meint, geht’s auch mal auf Hochdeutsch.
Der Cowboy lehnt sich schwer auf die Theke, damit die nicht ins Schwanken kommt. Immerhin, das mit der Schnelle klappt, die Halbe ist auf zwei Züge weg. Gleich kommt das Glas wieder angewanzt. Auf so viel Schnelle bringst du nicht mal den Zapfhahn zu.
“Jetz lass ma’s guad sei. I mog dann a ins Bett.”
“Bloß no an Schnitt, dann bist mi los. Gwiß. Woaßt, Bäda, de Kneipn - des is einfach der beste Ort.”
“Um zwoa in der Friah werd des aba zum Nicht-Ort.”
"Des hier is koa Nicht-Ort.“

Sentimental schaut sich der Cowboy um. Der rissige Holzboden, die Plakatwand, die Couch mit dem Hut am Nagel. Hinten bei den Platten liegt noch alles herum, was heute gelaufen ist, Zappa, Tobacco Road, Ornette Coleman, …

“A Nicht-Ort waar vielleicht a Supermarkt. Des gibt’s oft amal in de Filme. Neilig erst, in dem Krimi im Fernsehn, hast gsehn - vielleicht? De Senta Berger als Kommissarin, mit ihr’m Schlaganfall im Gsicht, ganz alloa beim Eikaffa, zwischen volle Regale …”
Dem Bäda wär ja eher der Dude eingefallen, über Senta-Berger-Krimis weiß er nichts.

Er macht sich an die Platten. In dem dämmrigen Gastraum sind die Teelichte bei den Tischen schon abgebrannt, die letzten Flämmchen vergehen flackernd auf der Theke. Er lässt einen Ambros zurück in seine Hülle gleiten, ‘Nie und nimmer’. Seit vierzig Jahren. Passt scho.

“An am Nicht-Ort is alles dod”, macht der Cowboy weiter, „und du kimmst ned vorwärts und ned zruck.“
Mit viel Schaum läuft der Schnitt ins Glas.
“Sauguad, dass’ds ihr wieda aufhabts.”
Der Bäda schraubt vorsichtshalber den Zapfhahn ab. „So, jetz is’ so weit, Cowboy. Jetz pack ma’s.”
Der Cowboy schickt sich drein. "Des war grad genau richtig. Bei dem Durst, den i ghabt hab - lebensrettend, kunnt ma sagn. Auf die Schnelle.”

Die Theke schwankt minimal, als sie wieder allein stehen muss, und der Bäda, mit dem Schlüssel in der Hand, begleitet den Cowboy zur Tür. Der will noch einmal zurück schaun.
“De Kneipn hier - des is definitiv ein Ort."
Der Bäda schiebt ganz sanft an. “I hab ma’s scho denkt."

Als er den Schlüssel endlich herumgedreht hat, wartet er noch einen Augenblick, damit der Andere draußen seinen Weg nicht im Dunklen finden muss.
"Weil’s hier ned einsam is”, hat er noch dazugesagt, bevor er los ist. „A, wenn koana do is. So was find’st heit nimma!“

‚Da is was dran‘, denkt der Bäda. ‚Aba morgn is a no a Tag‘.
Dann schaltet er das Licht aus.

kh

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