Herbst 1978, Teil 2 - Das Geburtstagsfest

Weil die alte Zapfanlage ja noch nicht wieder in Betrieb ist, lagern die Fässer auf dem Schank, mit dem Schlegel griffbereit zum Anzapfen daneben. Das Bier läuft, bloß der Schlegel ist gefährlich, denn der Molli schlägt im Vorbeigehen jede freilaufende Zigarettenschachtel zum Wrack: Sorgsames Hochkantstellen der Hardbox, ein Schlag und die Sache ist geklärt. Welche Sache genau, bleibt ein Geheimnis, aber so oder so, es nervt ordentlich. Die Opfer schreien nach Vergeltung, auf Schlag folgt Gegenschlag, bis zuletzt alle mitmachen, obwohl’s keiner lustig findet. Dem Molli ist es egal. Seine Mais kommen in Softpacks, und die behält er in den Jeans.
Neue Gesichter tauchen auf, jeder hat jemanden eingeladen. “Kennt die wer?” wird gefragt, aber die Antwort interessiert nicht.
“Jetz’ is’ doch guad g’laufn.” Christoph wird langsam klar, was sie geschafft haben. „Dee Mauer is weg.“ Dee, mit Betonung auf dem e. Als hätten sie noch viele solcher Wahnsinnsprojekte vor sich.
Während sie reden, schaut der Molli hinüber in den freigekämpften Gastraum, wo einer mit einer Kehrschaufel ein paar größere Steine wegschiebt. Sofort ist der Steinbruch zurück, als wäre doch noch etwas gesprengt worden - Gespenster in ihrer Zwischenwelt.
“Spinnst du?” ruft’s von hinten, “willst uns ersticken?”
“Is glei vorbei”, kommt zur Antwort, oder, “is do eh scho wurscht …”

Auf dem Plattenspieler laufen Animals. Blow it up, start all over again.
Des war mal wieder a Fahrt, erzählt einer, so in sechsunddreißig Stunden übern Put - zwischendrin hamma an Keilriemen gwechselt - der Kühler hat gedampft wie a Lanz Lokomobil - da bist fei froh, wenn’s nach den Bergen zum Meer runtergeht, da rollt die Kiste notfalls selber - … und dann kommt a alte Frau und fragt, ob ma übernachten wolln - die räumen da echt ihr Wohnzimmer - Gott sei Dank, dass der Ersatzriemen dabei war …
Staub, Qualm und Musik treiben aus der Kneipe hinaus über die Siedlung; ein weißer Schleier über Häusern, Bäumen, Feldern, Wiesen, Tieren, Menschen.
“Und da“ - Christoph macht eine umfassende Handbewegung - „mach ma den Tresen.”

Da ist sie also, die basisdemokratische lange Theke, wo sich jeder dazustellen kann. Wo jeder mit jedem redet, und ein gepflegtes Bier ausgeschenkt wird. So, wie sie in diesem Moment in den Köpfen ist, wird sie in den Wochen danach gebaut: Vom Eingang der neuen Musikbühne bis ganz nach hinten in den letzten Winkel des freigelegten Raums.

Bestimmt ist es schon kurz vor der Morgendämmerung, als sich ein paar Fremde verabschieden wollen, zwei Festere, dazu einer mit Hut und ein Langhaariger.
“Du, mia mechatn zahln.”
Christoph wird sie überrascht angesehen haben.
“Wieso?”
Die Typen bemerken seinen Blick nicht, sie müssen sich erst sortieren - sie haben’s ganz schön krachen lassen. Wie es aussieht, sind sie, von ihrem Anteil an den leeren Fässern einmal abgesehen, auch für eine Flasche Whisky und eine zweistellige Zahl von Rüscherln verantwortlich. Ein Wunder, dass die noch stehen können, denkt er, diese Jungs sind sprachbegabtes Dachs Weiße.
„Du, Martin, san des Kollegen von dir aus’m Amt?”
Martin unterbricht einen weltanschaulichen Vortrag. „Vo mir san de ned.“

So weit sie sich an ihre Zeche erinnern können, haben die Fremden alles auf ein Bierfilzl notiert und wollen zur Auflösung beitragen.
„Naa, mia ghörn gar ned dazua … mia san Uffinga.”
“Uffinga?”
“Genau“, sagt der mit dem Hut. „Mia san einfach so vorbeikemma.“
„Ja, scho“, brummt der Christoph, „aber so lauft des bei uns ned …“
Die Uffinger wollen keinen Ärger machen, sie sind schon fast wieder nüchtern. „Sagt’s halt, was ma schuldig san!“
Einer der Festeren hält das Bierfilzl hoch wie eine Hostie, doch dem künftigen Kneipenwirt ist das hier alles zu anstrengend. Da draußen geht immerhin gleich die Sonne auf.
„Was will i mit dem Ding?“
Der Andere beginnt zu verstehen. „Nacha zahl ma ned?“
„Bei mir ned.“
Nun wissen sie nicht mehr, wohin mit ihrem Bierfilzl. Einer nimmt es und legt es vorsichtshalber auf die Theke. „Nacha geh ma jetz?“
„Woaß i ned. I jedenfalls scho, und zwar ins Bett.“
„Dann sagn ma dankschön …“
„Passd scho. Vorsichtig hoamgeh!“

Martin ist an die Theke gekommen. Er zündet sich eine Zigarette an und will ein letztes Bier zapfen, aber die Fässer sind praktisch leer. Gerade noch ein Viertel läuft heraus, als sie es anheben, dann ist Ebbe.
“I hab gmeint, des san Kollegen von dir aus’m Amt”, wiederholt Christoph.
“Naa. Aus’m Amt war’n die ned. Da wär in dem Fass bestimmt nix mehr drin”, erklärt der Beamte in spe.

Draußen ist es jetzt richtig hell. Karli zündet sich eine Zigarette an und lässt die Schachtel auf der Theke liegen. Der Molli greift sich den Schlegel und erledigt sie mit einem geübten Schlag.
„Du bist a so a Depp! Der Automat hintn is leer - kannst glei amal losfahrn und einkaufn.“ schimpft Karli.

“Bringst fei Brezn mit!” ruft eines der Gespenster von hinten.

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Herbst 1978, Teil 1 - Die Mauer